Zürich, das Grossmünster und die Limmat, wo 1527 Felix Manz hingerichtet wurde. Foto/Photo: TES

Eine Weltpremiere religiöser Reformen in Zürich im Jahr 1525

Martin Luther läutete am 31. Oktober 1517 mit seinen 95 Thesen in Wittenberg die grösste Trennung der christlichen Kirche seit 1054 (die Trennung zwischen der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche) ein.

Diese Spaltung war nicht nur religiös und politisch, sondern auch geografisch inspiriert. West- und Mitteleuropa auf der einen Seite, Osteuropa (das Byzantinische Reich) auf der anderen Seite. Die Orthodoxen hatten zwar einen gemeinsamen Nenner, entwickelten aber bald ihre eigenen regionalen Identitäten.

Papst Leo IX (1002-1054) und Michael Kerularios (1000-1059), Patriarch von Konstantinopel (1000-1059). Griechisches Manuskript. 15. Jahrhundert. Staatsbibliothek Palermo. Bild: Wikipedia

Protestanten und Wiedertäufer

Fünf Jahrhunderte und diverse gescheiterte Reformversuche später war das römisch-katholische Europa reif für eine Spaltung. Die von Luther vorgeschlagenen Reformen waren zwar der direkte Anlass, aber die Diskussionen waren schon jahrhundertealt. Erasmus war einer der vielen kritischen Theologen, Jan Hus war ein Jahrhundert zuvor noch auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden.

Durch den Buchdruck, die Renaissance, den Humanismus und die Armut in Städten und ländlichen Gebieten erreichten Luthers Reformpläne in kurzer Zeit ein grosses Publikum. Ausserdem schrieb er auf Deutsch statt Latein (obwohl ein grosser Teil der Bevölkerung noch Analphabeten war).

Die Ideen von Luther erreichten bald die Eidgenossenschaft, zunächst die grossen Städte (Basel, Bern, Zürich, Schaffhausen). Zürich hatte eine Weltpremiere: In kurzer Zeit entstanden um 1525 zwei neue Weltreligionen: die evangelisch-reformierte Kirche nach Huldyich Zwingli (1484-1531) und die Wiedertäufer oder Täufer. Luther und Zwingli unterschieden sich in einigen dogmatischen religiösen Punkten, lehnten jedoch beide die Täufer ab und verfolgten diese.

Collégiale in Neuchâtel mit der Statue von Guillaume Farel (1489-1565)

Calvinismus

Nicht nur die städtischen Gebiete in der alten Eidgenossenschaft, sondern auch die unabhängige Republik Genf und das Fürstentum Neuenburg waren zehn Jahre später Brutstätten einer eigenen Reformation: des Calvinismus. Die Schweiz war daher das Epizentrum des Humanismus auf der einen und dogmatischer Diskussionen neuer Weltreligionen auf der anderen Seite.

Genf blieb jahrhundertelang die Hauptstadt des Calvinismus. Tausende Studenten aus den Niederlanden, Deutschland, England und Skandinavien besuchten beispielsweise die von Calvin gegründete Akademie. Wilhelm von Oranien wird sogar an der Mauer der Reformatoren in Genf geehrt, wie Michiel de Ruyter sein Plakat im Grossmünster in Zürich (und sein Grab in der Nieuwe Kerk in Amsterdam und einen ihm gewidmeten Feiertag in Ungarn) hat.

Wilhelm von Oranien an der Mauer der Reformatoren: “Le 26 juillet 1581 les Etats-Generaux reunis a la Haye adpotent la déclaration d’indépendance des Provinces-Unies”.

Disputatio in Zürich

Die Reform in Zürich war die erste in der alten Eidgenossenschaft, auf Schweizer Art nach einer „Disputatio“, Diskussion und Abstimmung in der Regierung. Diese Reform ging einigen Reformierten jedoch nicht weit genug. Sie lehnten die Taufe von Babys ab, weil der Glaube ein Bekenntnis ist und ein Baby dieses Urteilsvermögen noch nicht hat.

Und sie wollten keine Staatskirche, sondern privat organisierte Glaubensgemeinschaften. Mit anderen Worten, sie anerkannten keine kirchliche, also staatliche Hierarchie. Zu dieser Zeit gab es noch keine Trennung von Kirche und Staat.

Auch in diesem Fall gab es am 17. Januar 1525 eine Disputatio zwischen dem Protestanten Zwingli und dem Täufer Konrad Grebel (1498-1526). Zwingli gewann das Streitgespräch, aber dies verhinderte die Taufe der ersten Erwachsenen am 21. Januar 1525 nicht, darunter Grebel und Felix Manz (1498-1527).

Danach eskalierte der Konflikt, weil die Täufer keine Staatskirche (die reformierte Kirche war das, die katholische Kirche seit Jahrhunderten) und keinen bewaffneten Dienst für die Regierung anerkannten.

Die Disputation vom 17. Januar 1525. Weltliche Herren (l), Theologen (r), davor die Täufer, sitzend die Reformatoren (Zwingli). Sammlung: Zentralbibliothek Zürich

Eine neue Weltreligion mit Wurzeln in Zürich

Anabaptismus (Täufer) bedeutete für die Machthaber Anarchie, keine Steuern zahlen und keinen Militärdienst leisten. Damit untergruben die Täufer die Staatsgewalt (und die Privilegien der Machthaber). Sie wurden verfolgt (von Protestanten und Katholiken) und manchmal wie Felix Manz hingerichtet.

Gerade wegen der Verfolgung in Städten suchten und fanden sie Zuflucht auf dem Land, wo die Täufer viel Sympathie und Anhänger fanden. Es war schliesslich die Zeit der Bauernaufstände. Die religiös inspirierten Täufer und die politisch motivierten Bauern hatten sich gefunden. Eine Ausstellung im Dreiländermuseum in Lörrach geht ausführlich auf diesen Kontext ein.

Die Täufer aus Zürich flohen schliesslich in die USA, wo sie amische und mennonitische Gemeinschaften gründeten.

Die Ausstellung „Verfolgt, Vertrieben, Vergessen – 500 Jahre Täufertum im Kanton Zürich“ in der Zentralbibliothek Zürich zeigt diese wenig bekannte, aber bewegte Geschichte mit Dokumenten aus dem eigenen Bestand und anderen Institutionen. Sie findet anlässlich des 500. Geburtstags der ersten Erwachsenentaufe in Zürich statt.

Am 29. Mai finden in Zürich zudem die Mennonitische Weltkonferenz und ein Gottesdienst im Grossmünster statt. Der Kreis schliesst sich, keine 100 Meter entfernt, wo 1527 Manz in der Limmat durch Ertränken hingerichtet wurde!

(Quelle und weitere Informationen: Zentralbibliothek Zürich, M. Jost, Unpassend. Roman zu den Anfängen der Täuferbewegung, St. Gallenkappel, 2024; Mennonitica. Schweizerischer Verein für Täufergeschichte).

Korrektorin: Giuanna Egger-Maissen