Das Heilige Römische Reich, Habsburg, Vorderösterreich und die Eidgenossenschaft
10 Januar 2025
Dieser Beitrag betrachtet die Beziehung zwischen Vorderösterreich und der Eidgenossenschaft und dient auch als Vorbereitung zu einem noch differenzierteren Folgeartikel über den Schwabenkrieg von 1499 (Schweizerkrieg oder Engadinerkrieg, je nach Perspektive). Die Verhältnisse, die Handlungen und Auseinandersetzungen von damals sind nur im Kontext der ziemlich verstrickten Geschichte nachvollziehbar.
Deswegen bleibt dieser Artikel etwas allgemein zusammengefasst; die Beziehungen und Rollen Frankreichs, der Herzöge von Bayern, Savoyen, Burgund, Lothringen, Mailand, der Markgrafen von Baden und anderer staatlicher Einheiten bleiben unberücksichtigt, obwohl auch sie die Machtverhältnisse zwischen Vorderösterreich und der Eidgenossenschaft sowie deren Orte und Kantone beeinflussten.
Heilige Römische Reich, um 1400. Bild: Ziegelbrenner/Wikipedia
Heiliges Römisches Reich
Betrachtet man heute die aktuellen Grenzen Frankreichs, Deutschlands, der Schweiz und Österreichs, ist kaum vorstellbar, dass sich die Situation der Territorien und Abhängigkeiten vor 500 Jahren völlig anders gestaltete.
Das Heilige Römische Reich (im 16. Jahrhundert zur Präzisierung auch das Heilige Römische Reich deutscher Nation genannt) entstand 962 unter der Dynastie der Ottonen, mit Otto I. (912-973) als erstem Kaiser, als Nachfolger des Karolingerreichs, welches 843 durch den Vertrag von Verdun aufgeteilt wurde.
Basel, das Münster, Kaiser Henrich II (973-1024) und Kaiserin Kunigunde (975-1040), Kopien, die Originale befinden sich im Museum Kleines Klingental
Verschiedene Dynastien (darunter Ottonen, Salier, Staufer, Wittelsbacher, Luxemburger und Habsburger) stellten die Kaiser und Könige des Reiches. Die sieben Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches wählten den (römisch-deutschen) König und Kaiser. Gekrönt wurde der König in Aachen. Nur wenn der Papst der König in Rom salbte, wurde er auch Kaiser.
Die sieben Kurfürsten (küren bedeutet wählen) waren: Die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln, der Herzog von Sachsen, der Pfalzgraf, der Markgraf von Brandenburg und der König von Böhmen.
Die Wahl wurde 1356 in der Goldenen Bulle geregelt. Ab 1440 bis 1806 waren die Habsburger nahezu ununterbrochen Kaiser und Könige in Folge. Das Reich teilte sich 1555 in einen spanischen (1555-1700) und einen österreichischen Zweig (1555-1918) auf. Vorderösterreich fiel unter den österreichischen Zweig.
Die Goldene Bulle, Bild: Wikipedia
Der Kaiser war die höchste Autorität im Heiligen Römischen Reich. Der Reichstag war die Legislative, das Reichskammergericht (in Worms, Speyer und schliesslich in Wetzlar) und der Hofrat in Wien waren die höchsten Gerichte. Gesetze (auch betreffend die Steuern) und „fremde Richter“ des Reiches waren auch Gründe für den „Schwabenkrieg“.
Der Beitrag behandelt das habsburgische Territorium in Vorderösterreich und unterscheidet es von den habsburgischen Territorien in Innerösterreich (Herzogtümer Steiermark, Kärnten, Krain und Mark), Niederösterreich (Herzogtum Österreich) und Oberösterreich (die sogenannten Erblande) sowie der Grafschaft Tirol (seit 1379 habsburgischer Besitz).
Vorderösterreich war bis 1753 keine politische Einheit, sondern setzte sich aus vielen politischen Einheiten zusammen. Ursprünglich gehörte auch ein Teil der heutigen Schweiz zu diesem Gebiet.
Habsburg und die Schweizerische Eidgenossenschaft
Die Eidgenossenschaft entwickelte sich ab Ende des 13. Jahrhunderts zunehmend eigenständig und bestand 1513 aus 13 souveränen, jedoch untereinander oft zerstrittenen, also uneinigen Kantonen. Obwohl die Eidgenossenschaft bis 1648 formal Teil des Reiches blieb, erkannte sie dessen oberste Instanzen de facto schon zwei Jahrhunderte zuvor nicht mehr an. Dies zeigte sich ganz konkret in der Weigerung, gewisse Steuerabgaben zu entrichten.
In einer Reihe von Konflikten verlor Habsburg an Gebieten und Einfluss: 1315, 1386, 1388, 1415 (Eroberung des Aargaus ausser dem Fricktal, Rheinfelden und Laufenburg), 1460 (Eroberung des Thurgaus) und schliesslich 1499 im Schwabenkrieg.
Denkmal Basel, Rudolf Wettstein spielte als Diplomat eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden von 1648
Im 15. Jahrhundert versuchten die aufeinanderfolgenden habsburgischen Kaiser, die Schweizer Gebiete zurückzuerobern. Die „Ewige Richtung“ (1474), der verlorene „Schwabenkrieg“ und der Friede von Basel (1499) beendeten jedoch den fast zwei Jahrhunderte dauernden Krieg mit dem Westfälischen Frieden (1648) als internationale (de facto) Anerkennung der Eidgenossenschaft.
Vorderösterreich, um 1790. Bild: Karte: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Vorderösterreich in alten Karten und Plänen, Begleitheft zu Ausstellung Stuttgart, 1998
Vorderösterreich und seine politische Rolle
Ab 1499 umfasste Vorderösterreich das Gebiet vom Arlberg bis in das Elsass (u.a. den Sundgau), das Fricktal, die vier Waldstätte (Säckingen, Waldshut, Laufenburg und Rheinfelden), Breisgau sowie Regionen in Lothringen, Schwaben, Bayern und den Schwarzwald.
Ensisheim (Elsass) war von 1444 bis 1638 das administrative Zentrum des Vorderösterreichs. Freiburg war jedoch das wichtigste wirtschaftliche, religiöse (Bistum) und kulturelle Zentrum mit einer Universität (1457). Das Basler Domkapitel (bis 1679) und Erasmus (bis 1535) suchten 1529 wegen der Reformation Zuflucht in Freiburg.
Kriege und territoriale Veränderungen
Frankreich und Bayern wurden ab dem 16. Jahrhundert zu Bedrohungen für den Besitz Habsburgs in Vorderösterreich. Der Dreissigjährige Krieg (1618-1648) und der Holländische Krieg (1672-1678, Friede von Nimwegen) führten zu Gebietsverlusten (Elsass, Sundgau, Breisgau, Freiburg) an Frankreich. Die Landesregierung von Vorderösterreich hatte in dieser Zeit ihren Sitz in Waldshut, die Universität war vorübergehend in Konstanz untergebracht.
Freiburg, Kaufmanshaus, um 1530
Der Frieden von Rijswijk (1697) beendete den Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697). Das Elsass (und Strassburg) blieben bei Frankreich, Freiburg und Breisach gingen an Habsburg zurück. Während des Spanischen Erbfolgekriegs (1701-1714) wurden die Städte Neuenburg am Rhein, Breisgau, Villingen und Freiburg wieder von französischen Truppen besetzt und (erneut) geplündert.
Breisgau, das Münster
Im Frieden von Rastatt (1714) fielen diese Städte wieder an die Habsburger zurück. Während eines neuen Krieges (österreichischer Erbfolgekrieg 1740-1748) wurde Freiburg erneut von Frankreich besetzt und im Frieden von Aachen (1748) wieder zurückgegeben.
1753 kam es zu einer administrativen Neuordnung, den Reformen von Kaiserin/Regentin Maria Theresia (1717-1780) und Joseph II. Das zuvor zersplitterte Vorderösterreich wurde zur politischen Einheit Provinz Vorderösterreich.
Der Grund dafür war der Aufstieg einer anderen Bedrohung: Preussen. Freiburg war von 1753 bis 1806, in der letzten Phase der habsburgischen Herrschaft, wieder Verwaltungszentrum der Provinz Vorderösterreich. Nach 1789 kam die Gefahr jedoch wieder von französischer Seite.
Auflösung Vorderösterreichs
1803 teilte Napoleon das Fricktal, Laufenburg und Rheinfelden dem Kanton Aargau zu. Der Rhein war die Grenze. 1806 hörte Vorderösterreich im Zuge der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches auf zu bestehen.
Die übrigen Gebiete Vorderösterreichs fielen an das Königreich Bayern, das Grossherzogtum Baden, das Königreich Württemberg und das Kaiserreich Österreich. Vorderösterreich war damit für die Eidgenossenschaft Vergangenheit.
Rheinfelden (Kanton Aargau)
Nachspiel
Oder doch nicht ganz. Mitten im Kanton Schaffhausen liegt das Dorf Büsingen. Habsburg wollte das Dorf nie an den Kanton abtreten. Danach wurde das Dorf dem Grossherzogtum Baden und dann dem Bundesland Baden-Württemberg angegliedert, trotz einer Volksabstimmung im Jahr 1918: 96 % der Einwohner wollten sich der Eidgenossenschaft anschliessen.
Es gibt eine Parallele zu Vorarlberg: 1919 wollten 81 % der Einwohner der Eidgenossenschaft beitreten. Die Schweiz wollte dies aus verschiedenen Gründen nicht. Fast wäre ein kleiner Teil Vorderösterreichs nach 1918 der Eidgenossenschaft beigetreten!
Im neuen Kanton Graubünden dauerte die habsburgische Präsenz übrigens bis 1803 (Tarasp) und 1819 (Rhäzuns). Dieses Gebiet wurde von Innsbruck aus verwaltet.
Und doch war die habsburgische Präsenz noch nicht zu Ende. Bereits im 13. und 14. Jahrhundert hatten die Habsburger ein Auge auf Basel als Residenz und Verwaltungszentrum. Dazu kam es jedoch nicht.
Eugen Ferdinand Pius Bernhard Felix Maria, der Erzherzog von Habsburg (1863-1954), bewohnte von 1919 bis 1934 eine Suite im Hotel Les Trois Rois in Basel. Er war ein Neffe von Karl von Habsburg (1887-1922), dem letzten Kaiser des Habsburgerreiches. Er verabschiedete sich 1934 stilvoll von Basel, auch im Namen seiner Vorfahren, und Basel verabschiedete sich vom ihm mit den höchsten Ehren der Stadt.
Zudem befindet sich im Münster der (leere) Sarkophag von Gertrud Anna von Hohenberg (1225-1281), der Gemahlin von Rudolf I. (1218-1291), dem ersten deutsch-römischen König der Dynastie.
Kaiser Karl und Kaiserin Zita (1892-1989),die letzte Kaiserin von Österreich, wurden nach nur zweijähriger Regierungszeit enttrohnt. Sie lebten nach 1919 im Exil. Nachdem Kaiser Karl im Jahre 1922 verstarb, hat Kaiserin Zita ihre acht Kinder, darrunter Otto von Habsburg ( 1912-2011) alleine grossgezogen. Während 27 Jahren, bis zu ihrem Tod im Jahre 1989, lebte sie in Zizers (Kanton Graubünden).
Der Name Habsburg bleibt nicht nur mit Basel und dem Münster, sondern mit der Schweiz verbunden.
Fazit
Die Beziehungen zwischen der Eidgenossenschaft und Vorderösterreich blieben nach 1499 friedlich. Ruhe kehrte ein, zumal andere Konflikte in Italien und mit Frankreich sich in den Vordergrund drängten.
Der Schwabenkrieg markierte die endgültige geistige und faktische Trennung zwischen Schweizern und Schwaben, obwohl die Herauslösung des schweizerischen Raumes aus der Gesamtheit Schwaben und die Frage der Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft vom Heiligen Römischen sollen nicht miteinander vermengt werden.
Der Schwabenkrieg verfestigte die Rheingrenze und war ein markanter Schnitt im Auseinanderleben von Schwaben und Eidgenossen. Die Eidgenossen sahen sich als Schweizer. Die Schwaben betonten ihre Verbundenheit mit dem Reich und die treue zum deutschen Königtum.
Dass es sich nicht um einen sprachlich-kulturell determinierten Vorgang handelte, wird durch die Tatsache unterstrichen, dass die ebenfalls hervortretende Differenzierung des alemannischen Sprachraumes in ein Schwäbisch und ein alemannisch genanntes Dialektgebiet weiter nördlich verlaufenden Trennlinien gefolgt is
Der Handel, die Universitäten (Freiburg, Konstanz, Basel), die Sprache (Alemannisch) und persönliche Kontakte waren und sind eine solide Grundlage der Zusammenarbeit.
Breisach
Die Wappen des Heiligen Römischen Reiches und der Habsburger-Dynastie wurden trotz der zahlreichen Konflikte vor und nach 1648 oft nicht aus dem öffentlichen Raum entfernt. So gross waren das Prestige und der Respekt vor dem Heiligen Römischen Reich, dem Kaiser und dem (deutsch-römischen) König.
Basel, das Münster
Bern
(Quelle: D. Speck, Kleine Geschichte Vorderösterreichs, Leinfelden-Echterdingen, 2010; Uri Robert Kaufmann (Red.), Die Schweiz und der deutsche Südwesten, Ostfildern, 2006; Arzner, B. Oeschger, J. Scharf-Anderegg (Red.), Nachbarn am Hochrhein, Möhlin 2002; A. Jochim, F. Hanöffner (red.), Die Habsburger im Mittelalter. Aufstieg einer Dynastie, Speyer 2022; Bernd Marquardt, Die alte Eidgenossenschaft und das Heilige Römische Reich (1350-1798). Staatsbildung, Souveränität und Sonderstatus am alteuropäischen Alpenrand, Zürich, 2007; B. Meier, Ein Königshaus aus der Schweiz. Die Habsburger, der Aargau und die Eidgenossenschaft im Mittelalter,Baden, 2010)
Korrektorin: Giuanna Egger-Maissen