Eine Mühle symbolisiert die Stabilität von Kanton und Eidgenossenschaft
1 Oktober 2024
1461 kaufte Peter Reich von Reichenstein die Burg Landskron, zu der auch eine Mühle am Mühlbach in Flüh gehörte. Heute befindet sich die Landskron in Frankreich in der Nähe des Dorfes Leymen (Elsass), direkt hinter der Grenze zum Kanton Solothurn. Damals gehörte das Elsass jedoch noch den Habsburgern.
Flüh bestand damals aus einigen Bauernhöfen. Das Nachbardorf war Hofstetten. Heute heisst diese Gemeinde Hofstetten-Flüh (Kanton Solothurn). Hofstetten war nicht irgendein Dorf, sondern bis 1408 eines der sieben freien Reichsdörfer am Blauen. 1408 erwarben die Herren von Rotberg die sieben Dörfer.
Sie verloren dann ihre Unabhängigkeit (einschliesslich der Gerichtsbarkeit und des Eigentums an Wiesen und Wäldern), nachdem andere Herrscher (darunter der Bischof von Basel und die Herren von Hofstetten) bereits immer mehr Rechte erworben hatten.
Hofstetten
Witterswil
1515 erwarb Solothurn Hofstetten und Flüh von den Herren von Rotberg, und von da an gehörten Hofstetten und Flüh zum Kanton Solothurn. Der Kanton Solothurn hat die europäische Geschichte und die Religions- und Bürgerkriege hautnah miterlebt, ist aber relativ unbeschadet davongekommen.
Folglich wurde die Flühmühle nie durch Krieg zerstört und steht noch heute, wenn auch seit 2004 mit einer Wohnfunktion. Mehr als fünfhundertfünfzig Jahre lang diente sie als Getreidemühle und ab dem 19. Jahrhundert auch als Ölmühle (Ölerei) und Mosterei.
Die Stadt Solothurn
Solothurn, Frankreich und Habsburg
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Die Reformation in den 1520er- und 1530er-Jahren führte zu bedeutenden politischen und religiösen Veränderungen in der Region. Basel und Bern wurden protestantisch, Solothurn blieb (letztendlich) katholisch.
Frankreich erwarb das südliche Elsass einschliesslich des Sündgaus und die Landskron beim Westfälischen Frieden (Ende des Dreissigjährigen Krieges) 1648, zunächst zusammen mit dem Markgrafen von Baden, ab 1663 als alleiniger Eigentümer. Sébastien le Prestre, Herr von Vauban (1633-1707), baute die Burg zu einer Festung aus. 1813 zerstörten alliierte Truppen die Festung im Kampf gegen Napoleon.
Die Landskron nach 1813
Hofstetten-Flüh, die Marienkapelle und die Flühmühle
Die erste schriftliche Erwähnung der Flühmühle stammt aus dem Verkaufsvertrag der Landskron von 1461. Ein Müller pachtete die Mühle vom Burgherrn.
Abgesehen davon, dass sie fast 550 Jahre lang als Mühle diente, hatte sie seit 1543 auch einen prominenten Platz in der Marienkapelle oder der Siebenschmerzenkapelle (15.Jahrhundert). Das Kloster Mariastein (1655 errichtet) existierte zu dieser Zeit noch nicht.
1541 war ein wichtiges Jahr für die Mühle. Am Luzientag (13. Dezember) stürzte Ritter Hans Thüring, der Sohn des Burgherrn Jacob Reich von der Landskron, in der Nähe der Marienkapelle von einer Klippe. Während der damals herrschenden Pest war er mit seinen Verwandten von Pfirt und von der Landskron in die Marienkapelle geflohen, um die gesündere Luft zu geniessen.
Der Überlieferung nach stieg er dann allein hinauf. Er hielt sich an einem Ast fest, um in die Schlucht hinunterzuschauen. Der Ast brach ab und er stürzte in die Schlucht. Er überlebte, nur sein Kiefer war gebrochen.
Ein anonymer Maler hielt dieses Ereignis 1543 auf dem sogenannten Mirakelbild fest. Auf diesem Gemälde ist die Episode mit der Marienkapelle und dem Bruderhaus auf der linken Seite, der Mühle in der Mitte und der Landskron auf der rechten Seite dargestellt. Die Geschichte des Sturzes mit glücklichem Ausgang ist auf der Rückseite des Mirakelbildes zu sehen.
Der Müller Werner Küry und sein Knecht Simon brachten Hans Thüring zu Pferd zur Mühle. Er wurde acht Tage lang in der Mühle gepflegt, bevor er nach Landskron gebracht wurde. Links ist der Priester Jakob Augsburger aus der Marienkapelle abgebildet. Das Gemälde wurde wahrscheinlich vom Burgherrn aus Dankbarkeit für den guten Ausgang in Auftrag gegeben.
Auch die Marienkapelle profitierte davon, denn der Burgherr schmückte die Kapelle zu Ehren Marias neu aus, unter anderem mit dem Familienwappen und dem Mirakelbild, und seither wird diese Kapelle auch als Reichensteinische Kapelle bezeichnet.
In diesen Zeiten der Reformation und Gegenreformation war es für den katholischen Kanton Solothurn ein nützlicher Ausgangspunkt, die Gnade Gottes und damit die katholische Überlegenheit hervorzuheben.
Die Darstellung der Mühle im Kontext der Marienkapelle und der Landskron ist eine wichtige kulturhistorische Quelle. Obwohl die Darstellung der Mühle die Realität wahrscheinlich nicht vollständig widerspiegelt, vermittelt sie einen guten Eindruck von der Mühle, ihrer Funktion und ihrem Standort.
Klooster Mariastein
Nach 1543
Die Getreidemühle wurde nach 1543 mehrmals umgebaut, Teile verschwanden oder wurden ersetzt und die Anlage erweitert. Dennoch lässt sich die Entwicklung anhand der Fundamente gut rekonstruieren.
Die Mühle wechselte mehrmals den Besitzer, blieb aber ihrem Zweck als Getreidemühle treu. Das Getreide kam hauptsächlich aus der näheren Umgebung und zu einem kleineren Teil aus dem Sündgau. Im 19. Jahrhundert wurde die Anlage um eine Ölmühle und eine Mosterei erweitert.
Bad Flüh, unbekannte Künstler, 18. Jahrhundert. Kloster Mariastein rechtsoben. Bild: Wikipedia
Bad Flüh: 1560–1970
Neben der Flühmühle hatte Flüh von 1560 bis 1970 noch eine weitere Attraktion: Bad Flüh. Seit 1560 war der Ort für seine Wasserquellen und das Badehaus bekannt. Mönche und Besucher von Mariastein behaupteten jedoch, die Hauptattraktion sei der Treffpunkt für (spärlich bekleidete) Männer und Frauen. Wie dem auch sei, die Anlage wurde 1970 nach einer langen Zeit des Niedergangs abgerissen.
1900–heute
1953 wurde das grosse Holzrad der Mühle durch eine Turbine ersetzt, die später mit Strom betrieben wurde. Die Mühle war noch mehrere Jahrzehnte in Betrieb. Der letzte Bericht stammt vom Mai 2004. Danach wurde die Mühle zu Wohnzwecken genutzt. Die Strukturen der Mühle sind jedoch noch weitgehend intakt und die neue Wohnfunktion wird der Mühle voll und ganz gerecht.
Die Mühle (obwohl sie nicht mehr mahlt), der Talbach und der Mühlbach sind Zeugen einer Vergangenheit mit Zukunft. Der Talbach und der Mühlbach vereinigen sich fünfzig Meter weiter und fliessen als Binnbach weiter, um in die Birs zu münden.
Schlussfolgerung
Diese Kontinuität war möglich durch Renovierungen, Innovation, gutes Management, politische Stabilität und Diplomatie des Kantons und der Eidgenossenschaft, selbst in Zeiten von (Bürger-)Kriegen in den Nachbarländern und in der Eidgenossenschaft, und einer Portion Glück.
Diese (relative) Stabilität ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine alte Eigenschaft der Eidgenossenschaft. Das Streben nach dem Erreichbaren, Kompromiss und Pragmatismus, selbst zur Zeit der Reformation, der (europäischen und schweizerischen) Religionskriege im 16. und 17. Jahrhundert und des Sonderbundskrieges 1847.
Das Simultaneum (die gemeinsame Nutzung von Kirchen), die Disputatio, die Ilanzer Artikel im Freistaat der Drei Bünde (1524/1526) und sogar die Trennung von Kantonen (die Appenzeller im Jahr 1597) zur Zeit der katholischen und protestantischen Wirren sind (auch) schweizerische Lösungen.
Die Kirche in Sta. Maria (Val Mustair, Kanton Graubünden), Beispiel einer Simultankirche aus dem 16. Jahrhundert bis weit ins 19. Jahrhundert, Katholiken auf der einen, Protestanten auf der anderen Seite
Die Stadt Solothurn ehrt zu Recht einen frühen Vertreter dieser Eigenschaft, Niklaus von Flüe (1417-1487).
Solothurn
Weissenstein, Bruder Klaus Kapelle
Die Schweiz hat auch die Eigenschaft, Altes und Traditionen zu schätzen und ihnen einen Platz neben neuen Entwicklungen einzuräumen und sich an diese anzupassen. Innovation, Modernisierung und Hightech neben und nicht unbedingt immer anstelle alter Strukturen sind die Grundlage dieser Gesellschaft des menschlichen Masses und der Beteiligung der Bürger dank direkter Demokratie, Subsidiarität, Föderalismus und Dezentralisierung.
Kurz gesagt ist dies eine incompatibilité d‘ humeur und contradictio in terminis mit der Funktionsweise der heutigen ‚one size fits all‘ und ‚top-down‘ Europäischen Union.
Korrektorin: Giuanna Egger-Maissen
Eindrücke aus Hofstetten
Der Schöpfliweg zwischen Hotstetten und Flüh, eine ehemalige keltische Siedlung
Hofstetten
St. Niklauskirche