Die Mehrsprachigkeit der Schweiz
7 March 2023
„Die Sprachen sind nicht neutral. Sie verkörpern Kulturen, sie prägen Mentalitäten, sie schaffen Affinitäten, sie vermitteln Empfänglichkeiten, sie drücken Empfindsamkeiten aus, sie vermitteln Argumentations-, Denk- und Lebensweisen, und sie beeinflussen und bestimmen auch die Auffassung, die die Bürger von der Rolle des Staates im Verhältnis zum Einzelnen und zur Gesellschaft haben“ (José Ribeaud, La Suisse plurilingue se délingue. Plaidoyer pour les quatre langues nationales suisses, Neuchâtel, 2002).
Die vier Landessprachen
Die Schweiz ist das einzige Land in Europa, in dem es vier Landessprachen gibt: Italienisch, Deutsch, Französisch und Romanisch. Im europäischen Sprachen- und Kulturlabyrinth nimmt die Schweiz mit ihrer relativ kleinen Fläche (41 000 Quadratkilometer) damit eine einzigartige Stellung ein.
Es gibt mehr als 5 Millionen Deutschsprachige (die vielen Dialekte des Schwyzerd(t)ütsch sind meist Alltagssprache), mehr als 1,5 Millionen Französischsprachige in der Romandie und den zweisprachigen Kantonen Wallis, Bern und Freiburg, 350 000 Italienischsprachige im Tessin und in Graubünden und etwa 50 000 Romanischsprachige in Graubünden. Hinzu kommt ein grosses Kontingent von Ausländern.
Föderale Ebene
Drei Sprachen wurden 1848 in der Bundesverfassung als Amtssprachen anerkannt, 1938 kam die romanische Sprache dazu. Bis zur höchsten föderalen Ebene und der Zusammensetzung der Regierung spielen die Sprachen bei Ernennungen, Debatten und öffentlichen Auftritten eine Rolle.
Im Allgemeinen beherrschen Beamte und Parlamentarier auf Bundesebene mindestens zwei Sprachen, nämlich Deutsch und Französisch und/oder Italienisch.
In der Volksversammlung (Nationalrat) verwenden die 200 Mitglieder eine der drei Sprachen. Oft wird im Parlament direkt in der eigenen Sprache debattiert, ohne die Hilfe der anwesenden Simultandolmetscher in Anspruch zu nehmen.
Auch im Ständerat sprechen die Mitglieder in ihrer eigenen Sprache und ohne Simultanübersetzer.
Alle Gesetze oder Vorschläge der Regierung (Bundesrat) liegen in den drei Sprachen vor (und manchmal auf Romanisch, wenn es sich um romanischsprachige Gebiete handelt).
Die offiziellen Parlamentsdokumente erscheinen hauptsächlich auf Deutsch und Französisch. Natürlich gibt es Verbesserungsmöglichkeiten, aber im Allgemeinen funktioniert die Mehrsprachigkeit auf Bundesebene gut.
Die Kantone
Auch in den Kantonen gibt es Diskussionen über den Sprachunterricht. Ist Englisch in deutschsprachigen oder französischsprachigen Kantonen wichtiger als Französisch oder Deutsch? Italienisch wird ohnehin kaum diskutiert. Das gilt zum Beispiel auch für Regionen in Graubünden, wo Romanisch und Deutsch die Hauptsprachen sind. In vier Gebieten ist Italienisch aber die Muttersprache. Deutsch ist als Zweitsprache immer obligatorisch, nicht aber Französisch oder Romanisch.
Besorgniserregend sind die (abnehmenden oder fehlenden) Kenntnisse anderer Sprachen bei den Bürgerinnen und Bürgern und vor allem bei den Jugendlichen. Englisch wird manchmal zur Kommunikationssprache zwischen ihnen.
Immer weniger junge Menschen beherrschen andere Landessprachen. Der (begrenzte) Schüleraustausch findet vor allem zwischen der französischen und der deutschen Schweiz statt und kaum mit dem italienischen oder romanischen Sprachraum.
Fazit
Auch in der traditionell mehrsprachigen Schweiz sind harmonische Koexistenz und Integration keine Selbstverständlichkeit. Die verfassungsrechtlichen, pädagogischen, lokalen Strukturen und die Mentalität bedürfen weiterhin der Aufmerksamkeit.
Korrektorin: Petra Ehrismann