Der Basler Scheich Ibrahim ibn Abdallah
21 November 2024
Eines der ersten ethnographischen Museen Europas befindet sich in Basel, ebenso wie diese Stadt das erste Gebäude eröffnete, das heute als Museum bezeichnet wird. Es überrascht nicht, dass viele Forscher und Kunstsammler aus der alten Eidgenossenschaft auf fünf Kontinenten tätig waren.
Es gibt in der Schweiz mehrere renommierte ethnografische Museen, Universitätsfakultäten und andere Institute. So befindet sich beispielsweise die grösste europäische Sammlung zur afghanischen Sprache und Kultur im Dorf Bubendorf (Kanton Basel-Landschaft).
Haus zum Kirschgarten heute
Aber es gibtnur einen einzigen Scheich, der aus Basel stammt und in Kairo begraben ist. Der wohlhabende Fabrikant Johann Rudolf Burckhardt (1750-1813) und seine Frau Sara Rohner (1761-1825) bezogen 1784 das Stadtpalais Haus zum Kirschgarten in Basel. Zu dieser Zeit war Basel die Stadt mit den meisten Einwohnern (15‘000) der Eidgenossenschaft.
Die Stadt war auch ein internationales Zentrum für Handel, Wissenschaft, die Textilindustrie und weitere Industriezweige. Nicht zuletzt dank der Immigration der Hugenotten im 17. Jahrhundert blühten der Finanzsektor, die Industrie (einschliesslich der Textilindustrie) und das internationale Unternehmertum. Dies schlug sich auch in der Errichtung französisch orientierter Stadtpaläste nieder.
Eines dieser ersten Gebäude war der Markgräflerhof (1705). Es folgten u.a. der Ramsteinerhof (1732), das Weisse und das Blaue Haus am Rheinsprung (1762-1775), das Wildt’sche Haus am Petersplatz (1764) und 1780 das Haus zum Kirschgarten. Burckhardt gehörte zu den prominentesten Familien in Basel. Im Sommer hielt er sich oft am Genfersee bei Lausanne auf.
Anton Graff (1736-1813), Johann Ludwig Burckhardt im Alter von zwei Jahren. Sammlung: Historisches Museum Basel (Haus zum Kirschgarten)
Dort stand er in Kontakt mit der höchsten englischen Aristokratie, Schriftstellern und Künstlern (u.a. Edward Gibbon (1737-1794) und Benjamin Constant (1767-1830)). Während eines Aufenthalts in Lausanne wurde Johann Ludwig Burckhardt (1784-1817) geboren. Es war die zweite Ehe von Johann Rudolf Burckhardt, der zuvor mit Anna Maria de Barry (1749-1808) verheiratet gewesen war.
Weder Johann Rudolf Burckhardt noch Sara Rohner konnten ahnen, dass sie 1784 einen zukünftigen Scheich zur Welt gebracht hatten. Zwar erhielten Johann Ludwig, sein Bruder Georg Rudolf (1783-1866) und seine Schwester Rosine Valerie (1786-1875) eine Ausbildung in Musik, (antiker) Kunst, Reisen und Sprachen, wie sie im Zeitalter der Aufklärung, der Salons und Gesellschaften üblich war, aber die arabische und orientalische Welt (damals von der Türkei beherrscht) war weitgehend Neuland.
Haus zum Kirschgarten heute
Und ohne die Französische Revolution und die französische Besetzung der alten Eidgenossenschaft wäre Johann Ludwig vielleicht auch Kaufmann und Lokalpolitiker in Basel geworden. Doch sein Vater war ein Gegner der Französischen Revolution und der Helvetischen Republik (1798-1803).
Deshalb schickte er Johann Ludwig auf das Gymnasium in Neuenburg, das damals vom König von Preussen als Fürst von Neuenburg regiert wurde. Preussen war ein Gegner Frankreichs und dessen revolutionären Expansion.
Johann Ludwig studierte dann von 1800 bis 1805 in Leipzig und Göttingen, bevor er 1805 nach London ging. Im Jahr 1808 schloss er sich der „British Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa“ an, um die Handelsroute von Kairo nach Timbuktu kartographisch festzuhalten.
Johann Ludwig war eine gute Wahl für die „African Association“. Er verband ethnologische, religiöse, geografische, kartografische, linguistische, historische und kommerzielle Interessen. In kurzer Zeit lernte er Arabisch und Türkisch und studierte den Koran. Er besuchte mehrere Städte in der Region, darunter Assuan, Esna, Amman, Kairo, Aleppo, Damaskus, Hama, Palmyra und Homs.
Er kleidete sich wie ein einheimischer Scheich und nannte sich Ibrahim ibn Abdallah. Er sammelte wertvolle arabische Manuskripte, die er nach seinem frühen Tod an der Universität Cambridge vermachte.
Johann Ludwig korrespondierte regelmässig mit seiner Familie. Die meisten dieser Briefe werden in der Universitätsbibliothek Basel aufbewahrt und wurden 1956 teilweise veröffentlicht. Sammlung: Historisches Museum Basel (Haus zum Kirschgarten)
„Meine Entdeckungen in Arabia petrae und an dem Nilufer von Egypten nach Dongola haben viel Aufsehen erweckt, und ich schäme mich wirklich, Dir alle diese Lobsprüche zu melden, mit welchen man mich von fallen Seiten in England überhauft“ (Brief an die Mutter, Kairo, 3.7.1815, Sammlung:Historisches Museum Basel (Haus zum Kirschgarten)
Er bereiste Afrika mehrmals in Begleitung von Beduinen und veröffentlichte Nachrichten über deren Lebensweise und berichtete für die African Association. Er war einer der ersten Europäer, die Petra besuchten, reiste den Nil aufwärts und besuchte und erforschte Pyramiden und Gräber. Er war der erste Europäer, der über den Tempel von Abu Simbel schrieb.
Er besuchte Nubien und die arabische Halbinsel und nahm an der Hadsch in Mekka teil. Soweit bekannt, ist er der erste Europäer, der nach einem dreimonatigen Aufenthalt einen detaillierten Bericht über den Hadsch verfasste.
Urkunde von Sheikh Ibrahim für die Teilnahme am Hadsch. Sammlung: Historisches Museum Basel (Haus zum Kirschgarten)
Anschliessend reiste er in den Sudan und in die wichtige Handelsstadt Schandi. Die Haupthandelsware bestand aus Afrikanern, die von anderen Afrikanern gefangen genommen und von Arabern als Sklaven an andere Araber und Türken verkauft wurden..
Es folgten Reisen nach Taif, Savakin, Dschidda, Medina, Suez, in die Wüste Sinai, an den Golf von Akaba, zum bereits berühmten Katharinenkloster und zum Berg Moses, dem Dschebel Musa.
Über seine zahlreichen Reisen, Erlebnisse und sogar Entdeckungen in der Zeit von 1810 bis 1817 veröffentlichte er regelmässig Berichte für die African Association . Er berichtete auch über Handelskarawanen, Handelswaren und Möglichkeiten für die englische Textilindustrie. Schliesslich war sein Vater ebenfalls Textilfabrikant und -händler und er wusste, wovon er sprach.
Seine Reisen 1810-1817. Sammlung: Historisches Museum Basel (Haus zum Kirschgarten)
Ein Ziel erreichte er jedoch nicht. Aufgrund mehrerer lokaler Kriege und Epidemien war er nicht in der Lage, eine Karte für die Handelsroute von Kairo nach Timbuktu zu erstellen und die Möglichkeiten für den englischen Handel und die englische Industrie zu erkunden.
Seine wissenschaftlichen Verdienste, Veröffentlichungen und Berichte über andere Handelsmöglichkeiten waren jedoch von so hohem Niveau, dass die African Association Scheich Ibrahim jahrelang geduldig finanziell unterstützte. Ausserdem schickte er mehrere Artefakte nach London und ins Britische Museum, darunter die kolossale Statue des Ramses II.
Auch die türkischen Gouverneure in der Region waren von seinen Verdiensten beeindruckt und empfingen ihn mit grosser Pracht in ihren Palästen in Kairo, Damaskus, Taif und anderen Orten.
Doch Anfang Oktober 1817 schlug das Schicksal zu. Scheich Ibrahim erkrankte an einer Darminfektion und starb am 15. Oktober 1817 in Kairo. Der Scheich, Teilnehmer am Hadsch und geschätzte Gelehrte, Arabist und Orientalist wurde nach islamischen Ritualen auf dem Friedhof Bab el Nasr beigesetzt.
Haus zum Kirschgarten, Inschrift der letzten Anweisung an Henry Salt
Kurz vor seinem Tod gab er dem englischen Generalkonsul Henry Salt (1780-1827) letzte schriftliche Anweisungen, darunter eine Nachricht an seine Mutter Sara Rohner.
Seine Reiseberichte, Reisetagebücher und seine Monographie über die Beduinen und Wahhabiten wurden nach seinem Tod in mehreren Sprachen veröffentlicht. Er stellte seine Erfahrungen und Eindrücke aus seiner humanistisch-wissenschaftlichen Erziehung und Herkunft in einen historischen, politischen und kulturellen Kontext ohne Vorurteile und Urteile dar. Aus diesem Grund sind seine Schriften immer noch aktuell.
Sammlung: Historisches Museum Basel (Haus zum Kirschgarten)
Tatsächlich waren seine Schriften so wertvoll, dass der britische Geheimdienst sie noch im Zweiten Weltkrieg als Handbuch verwendete! Das jordanische Königshaus verlieh Scheich Ibrahim ibn Abdallah alias Johann Ludwig Burckhardt 1991 posthum einen hohen jordanischen Orden.
Sammlung: Historisches Museum Basel (Haus zum Kirschgarten)
Lawrence von Arabien (1888-1935) ist einem breiten Publikum bekannt, aber Scheich Ibrahim ibn Abdallah von Basel legte schon hundert Jahre früher den Grundstein für das Wissen über die arabische und orientalische Welt, Sprache und Kultur.
(Quelle und weitere Informationen: Haus zum Kirschgarten; G. Piller, D. Suter (Red.), Scheich Ibrahim. Der Basler Kaufmannssohn und seine Reisen durch den Orient, Basel 2017)
Korrektorin: Giuanna Egger-Maissen
Sebastian Gutzwiller (1798-1872), um 1830, Johann Ludwig Burckhardt. Sammlung: Historisches Museum Basel/Haus zum Kirschgarten