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Kurze Geschichte der direkten Demokratie

Das Schweizer Modell der direkten Demokratie fungiert oft als Beispiel für die Beteiligung von Bürgern und Organisationen an Entscheidungsprozessen auf nationaler Ebene. Die historische Entwicklung und das Funktionieren im spezifischen Kontext dieses Landes ist jedoch oft unbekannt.

Arbeitsweise

Jedes System hat seine Vor- und Nachteile, aber eines ist sicher: Demokratie ist das am wenigsten schlechte System, sei es die Präsidialsysteme in Frankreich oder Amerika oder die parlamentarischen Systeme des Bezirks (Grossbritannien), eine Föderation (Deutschland) oder ein Einheitsstaat (die Niederlande).

Das System der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Confoederatio Helvetica) nimmt jedoch einen besonderen Platz unter diesen Demokratien ein, und nur ein gutes Wissen über die Geschichte und Entstehung der direkten Demokratie stellt ihr Funktionieren in den richtigen Kontext.

Diese direkte Demokratie, d. h. die direkte Volksbefragung von (Verfassungs-) Gesetzen oder internationalen Verträgen und ein (doppeltes) Veto des Volkes und/oder des Ständerates, bedeutet das Ende des Gesetzes oder Vertrages.

Die Vor- und Nachteile dieses Systems werden nicht im Detail erläutert, sondern nur die historischen Aspekte seiner Entstehung kurz besprochen.

Es soll gezeigt werden, dass es sich um ein Bottom-up-Konzept handelt, das eng mit der geografischen Situation, den natürlichen Bedingungen, der multikulturellen Bevölkerung und dem Pragmatismus im zusammenhang steht. Die niederländischen Gemeinden kennen eine ähnliche historische Entwicklung in Bezug auf das Wassermanagement.

Geschichte

In dieser Hinsicht hat der 1. August 1291 noch immer einen magischen Klang und es ist sogar der offizielle Geburtstag des Landes (Legende oder nicht). Die drei Orte Schwyz, Uri und Unterwalden (der Name Kanton wurde erst ab dem. 16. Jahrhundert verwendet) bildeten ein Bündnis und bestätigten es mit einem Eid, daher der Name Eidgenossen.

Diese Bündnisse und Eide waren in ganz Europa verbreitet. Das Besondere an dieser Allianz ist aber die Kontinuität und die schrittweise Expansion bis zum Jahr 1513 mit anderen Orten (Glarus und Appenzeller) und Städten (Bern, Luzern, Basel, Schaffhausen, Zürich, Freiburg, Solothurn, Zug).

In den Bauerngemeinden, wurden Entscheidungen bereits im 13. Jahrhundert von Generalversammlungen (männlicher) Bürger getroffen, die wiederum die Regierung wählten.

Der Fürst (z.Beispiel Habsburg) hatte wenig zu sagen, obwohl die  Bindungen gepflegt wurden. Es war in der Tat eine Art kommunales System, das seine eigenen Interessen so gut es ging vertreten wollte.

Die Landsgemeinde, zum Beispiel im heutigen Kanton Graubünden, war damals ebenfalls eine eigenständige Gemeinde und kannte dieses System wahrscheinlich unter dem Einfluss der italienischen Stadtstaaten, die mit der Eröffnung des Gotthardpasses 1230 bekannt waren; sie waren sogar Demokratien (für männliche) Bürger auf lokaler Ebene.

Die stimmberechtigten Glarnerinnen und Glarner auf dem Zaunplatz in Glarus (Archivbild)

Es fehlte ein ideologisches Konzept, es konzentrierte sich vor allem auf Konfliktlösung und -management sowie gemeinsame Interessen (z.B. Strassenerhaltung, Viehsicherheit). In diesen Gebieten fehlten grosse Grundbesitzer und die meisten Bauern besassen kleine Unternehmen.

In städtischen Gemeinschaften entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte aristokratische Oligarchien und Verwaltungsstrukturen, in denen Eliten (insbesondere Zünfte) auf der Grundlage von Konsens und Mehrheiten entschieden, zum Beispiel in religiösen Angelegenheiten um 1530.

Andere Bürger hatten oft keinen direkten Einfluss. Militärische Gewalt wurde jedoch vermieden und nur bei Bedarf eingesetzt, zumal sie viel Geld kostete (und die meisten Schweizer Soldaten bevorzugten den Militärdienst im Ausland, auch ein lukratives Geschäft für die Eliten).

Mit der Gründung der Tagsatzung (1417, um den eroberten Aargau zu verwalten), dem Treffen der Vertreter der Kantone, wurde auch eine Institution geschaffen, die auf einen Konsens zwischen den Kantonen und ihren Interessen abzielte.

Dies war das Bild bis ins 18. Jahrhundert, die Zeit der Aufklärung und der amerikanischen und französischen Revolution sowie die Gründung vieler Gesellschaften in den Städten. Auch innerhalb der Städte wuchs dann der Ruf nach Demokratie.

Die Romantik (und die Medien) bevorzügten das Bild der direkten Demokratie der Landsgemeinden und souveräner Gemeinden in den Berggebieten.

In allen städtischen Gebieten und Kantonen ist die Demokratie vor und nach der französischen Ära (1798-1813) mit der Entstehung des Schweizerischen Bundes von 19 Kantonen im Jahre 1803 das Thema schlechthin und vor allem die direkte Demokratie nimmt einen wichtigen Platz in den Debatten ein. Nicht auf nationaler Ebene, sondern vorerst in den Kantonen.

Genf, September 2022, direkte Demokratie

Nach 1815

Die direkte Demokratie gewann auch an ideologischer Bedeutung, und in den traditionellen oligarchischen Städten (Zürich, Freiburg, Bern, Solothurn) stieg der Ruf nach direkten Volksabstimmungen, insbesondere zur Wahrung des inneren Friedens in Zeiten von Unruhen (1830 und 1848), Industrialisierung und schnellem Stadtwachstum sowie religiösen Konflikten zwischen den Kantonen (Sonderbundkrieg 1847).

Die Verfassung vom 12. September 1848, die Grundlage der heutigen Schweiz, sah nur das obligatorische Referendum vor. Das fakultatieve Referendum existierte aber bereits in mehreren Kantonen.

Immer mehr Kantone folgten diesem Beispiel, weil es sich bewährt hat (Aargau, Solothurn, Graubünden, Thurgau, Zürich und sogar Bern 1869).

Der Eisenbahnbau und Interessenkonflikte zwischen Eisenbahnbaronen und Grundbesitzern sowie Unruhen in Städten haben diesen Prozess beschleunigt.

Es gab und gibt immer Gegner des Referendums mit immer den gleichen Argumenten: Das Volk is dum, Das Volk hat nicht genügend Einsicht, es untergräbt die repräsentative parlamentarische Demokratie, die Elite weiss, was gut für das Land ist, die „Populisten“ und Interessengruppen, (sind nicht alle Politiker Populisten?) missbrauchen das Referendum et cetera.

Nach endlosen Diskussionen im Nationalrat und Ständerat wurden die Referenden und ihre Bedingungen 1874 (das fakultative Referendum) und 1891 (die Volksinitiatieve) aufgenommen und natürlich nach einem Referendum verabschiedet.

Nach diesen Jahrhunderten der Entwicklung und Diskussion kann, will und wird die Schweiz nicht mehr auf die direkte Demokratie verzichten. Demokratie kann nie relativiert werden, auch nicht auf europäischer Ebene, was leider die Realität ist.

(Quelle: O. Meuwly, Une histoire de la démocratie directe en Suisse, Neuchâtel, 2018).