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Fünfzig Jahre Frauenstimmrecht

Die Schweizerische Eidgenossenschaft führte 1848 als erste Demokratie in Europa und eine der ersten weltweit das allgemeine Stimmrecht für Männer ein.

Frauenstimmrecht

Das Frauenstimmrecht auf nationaler Ebene sollte jedoch erst am 26. März 1971 nach der Volksabstimmung vom 7. Februar in diesem Jahr Realität werden.

Die Schweiz war damit fast das letzte Land in Europa und der westlichen Welt. Australien und Neuseeland führten es bereits im Jahr 1900 ein. In Europa war Finnland das erste Land im Jahr 1906.

Nach dem Ersten Weltkrieg folgten viele andere (neue) europäische Länder, nach dem Zweiten Weltkrieg die übrigen ausser der Schweiz und Liechtenstein, welches 1984 das letzte europäische Land war.

Die heutigen Spitzenpositionen von Frauen in der kommunalen, kantonalen und nationalen Politik der Schweiz vermitteln einen anderen Eindruck als eine systematische Benachteiligung und „altmodische“ Mentalität.

Die Universitäten in der Schweiz erlaubten Frauen schon 1867 das Studium. Frauen fordern schon 1868 das Stimmrecht.1869 nahm Marie Vögtlin (1845-1916) als erste Frau das Studium der Medizin auf. Emilie Kempin-Spyri (1853-1901), die Nichte der Schriftstellerin Johanna Spyri (1827-1901, Heidi, 1881), erlangt 1887 europaweit als erste Frau einen Doktortitel.

Das Engagement zeigte sich auch an der aktiven Beteiligung von (wohlhabenden) Frauen in vielen gesellschaftlichen und politischen Organisationen. Im Bereich der rechtlichen und faktischen Gleichstellung gehört die Schweiz heute zu den europäischen Top Ten. Für die späte Einführung des Stimmrechts von Frauen gibt es mehrere Gründe.

Ausstellung: Landesmuseum Zürich

Die Verfassung 

Zunächst muss jede Änderung der Landesverfassung vom Volk in einer Volksabstimmung und von den meisten Kantonen im Ständerat genehmigt werden. Der Nationalrat war nach 1918 und die Einführung des Proporzsystems relativ zielstrebig.

Nach der Bundesverfassung von 1848 waren das Volk, also die Stimmberechtigten, und die Vertreter im Ständerat, wie in allen europäischen Ländern, ausschliesslich Männer.

Lange Zeit haben die Männer dieses Stimmrecht vereitelt und nach 1918 mit immer kleineren Mehrheiten abgelehnt. Wäre dies in anderen Ländern 1918 oder 1945 bei Volksabstimmungen und im Ständerat anders gewesen ?

Die Weltkriege

Frauen (und Männer) hatten sich bereits seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts für dieses Recht organisiert und fanden auch nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend Gehör.

Aufgrund der Neutralität im Ersten Weltkrieg konnten Frauen jedoch nicht eine so unverzichtbare und emanzipatorische Rolle spielen wie in anderen europäischen Ländern. Diese Zeit trug wesentlich zur Emanzipation der Frauen in diesen Ländern bei.

1918 war die Emanzipation auch in der damals politisch unruhigen Schweiz ein wesentliches Thema, aber weder die politische Vertretung (bestehend aus Männern) noch viele Frauen befürworteten diese. Volksabstimmungen wurden in verschiedenen Kantonen (Basel-Stadt, Glarus, Genf, Neuenburg, Zürich) abgehalten, jedoch ohne Erfolg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg legte das nationale Parlament schliesslich Gesetzesentwürfe vor. Auch während dieses Krieges war die Schweiz neutral. Die führende und heldenhafte Rolle (so war zumindest die Perzeption) spielte der männliche Soldat, der unter der Führung von General Henri Guisan (1874-1960) das Land durch den sogenannten Reduit vor der deutschen Invasion gerettet hatte. Die Frau konnte sich nicht wie in anderen Ländern profilieren und emanzipieren.

Nach 1945

In anderen europäischen Ländern bedeutete das Stimmrecht übrigens etwas anderes als Gleichberechtigung. Bis in die fünfziger und siebziger/achtziger Jahre war die (verheiratete) Frau in den meisten europäischen Ländern rechtlich dem Mann untergeordnet, so auch in der Schweiz (die 1981 die Gleichstellung der Geschlechter in der Verfassung verankerte).

Im Bundesparlament und in den Kantonen war das Frauenstimmrecht nach 1945 ein wichtiges Thema. In den Kantonen Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Tessin, Waadt, Neuenburg, Genf, Solothurn und Zürich gab es, vergeblich, Referenden.

Basel-Stadt war 1957 jedoch der erste Kanton, der das Wahlrecht in den Gemeinden (nach einer Volksabstimmung) zuliess; die Gemeinde Riehen führte es 1958 als Erste ein.

Am 1. Februar 1959 fand die erste nationale Volksabstimmung statt. Diese wurde von einer Mehrheit der (männlichen) Stimmbürger und im Ständerat abgelehnt. Auch viele Frauen waren damals noch dagegen.

Am gleichen Tag führte der Kanton Waadt aber als erster Kanton nach einer kantonalen Volksabstimmung das Frauenwahlrecht für die Gemeinden und den Kanton ein. Die Kantone Genf und Neuenburg folgten bald darauf. Ein Kanton nach dem anderen folgte, vor allem in den städtischen Gebieten.

Eine nationale Mehrheit wurde 1971 Realität. Acht kantone stimmten aber gegen im Ständerat: Appenzell Innerrrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Glarus, Obwalden, Schwytz, St.-Gallen, Thurgau und Uri. Zwei Kantone wehrten sich nachher noch eine Zeit lang.

Im Kanton Appenzell Innerrhoden musste 1990 der Bundesrichter in Lausanne intervenieren. Die Landsgemeinde in Appenzell Ausserrhoden hatte bereits 1989 die Ehre für sich behalten.

Konklusion

Die späte Einführung des Frauenstimmrechts hat ihre Ursachen in der Verfassung und föderalistischen Struktur des Landes, der Neutralität in beiden Weltkriegen und der männerdominierten politischen Kultur in der direkten Demokratie der Volksabstimmungen und der Kantone im Ständerat.

Die Zusammensetzung dieses Rates und das Verhältnis der kleineren, ländlichen, konservativen Kantone zu den liberaleren, städtischen Kantonen ist auch bei anderen Volksabstimmungen, Volksinitiativen und parlamentarischen Abstimmungen ein Punkt von Aufmerksamkeit und Diskussion.

Jedes Land hat (religiös) konservative Regionen und politischen Parteien, was für die Schweiz weder typisch, noch gänzlich negativ zu betrachten ist.

Zudem haben sich in beiden Weltkriegen Männer und nicht Frauen ausgezeichnet (zumindest in der Wahrnehmung), was für die Einführung des Frauenstimmrechts 1918 und 1945 in anderen Ländern so entscheidend war.

Aufgrund des (friedlichen) Verlaufs der Geschichte und der föderalen und konstitutionellen Ausgestaltung des Landes mussten die Frauen lange warten.

Es zeigt aber die Dynamik der Schweiz, dass Frauen und Männer innerhalb weniger Jahrzehnte die Rückständigkeit in einen Vorteil in den Bereichen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur verwandelt haben.