Bern, Bundeshaus, Ständeratssaal. Foto/Photo: Wikipedia.

Der Ständerat

Das parlamentarische System besteht aus zwei Kammern. Dieser Artikel konzentriert sich auf den Ständerat (Kantonskammer, Zweite Kammer, Kleine Kammer, Senat, Chambre de Réflexion).

Auf die andere Kammer, den Nationalrat wird im nächsten Artikel eingegangen. In diesem Beitrag wird ein kurzer Rückblick auf die Geschichte, die Rolle im Verfassungssystem und die Funktionsweise des Ständerats gegeben.

Geschichte

Als 1848 die neue Verfassung geschrieben wurde, war es nicht selbstverständlich, dass der Ständerat geschaffen werden würde. Er verdankt seine Existenz vor allem dem Sonderbundskrieg von 1847.

In diesem letzten (Bürger-)Krieg auf Schweizer Territorium wandten sich die katholisch-konservativen Kantonen (Uri, Schwyz, Unterwalden, Wallis, Zug, Luzern und Freiburg) gegen die liberalen protestantischen Kantone (unter der Führung von Bern, Basel und Zürich) der Eidgenossenschaft (Waadt und Neuenburg waren neutral).

Die Schweiz war 1848 noch nicht die Dienstleistungs- und Industrienation, die sie in den folgenden Jahrzehnten werden sollte. Der Schweizer Bürgerkrieg forderte eine geringe Zahl von Opfern und umfasste nur wenige Kriegstage, was unter anderem auf die versöhnliche Haltung der Sieger zurückzuführen ist.

Nach diesem Bürgerkrieg wuchs die Einsicht, dass die Verlierer, die Minderheit der (katholischen) ländliche Kantone, ebenso wie die sprachlichen Minderheiten (Französisch und Italienisch, Rätoromanisch wurde erst 1938 als vierte Sprache anerkannt) eine wirkliche Stimme in der Eidgenossenschaft haben mussten: Das eidgenössische (kantonale) Gegengewicht zum repräsentativen Nationalrat, das von der männlichen Bevölkerung in allgemeinen Wahlen gewählt wurde.

Funktionieren

Für die fünfundzwanzig Kantone gab es 44 Sitze. Zwei Sitze für die neunzehn Kantone und je einen Sitz für die (Halb) Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Obwalden und Nidwalden. Der neue Kanton Jura verfügt seit 1979 über zwei Sitze, womit sich die Gesamtzahl auf 46 erhöhte.

Jeder Kanton, unabhängig von Bevölkerung, Glauben, Sprache oder Wohlstand, hat im Rat die gleiche Stimme. Das ist das föderale Gegenstück zum System der proportionalen Verteilung (Proporzwahlsystem) der (zweihundert) Sitze im Nationalrat.

Männer und Frauen wählen heute den Ständerat direkt nach dem Wahlgesetz jedes Kantons (nach dem Majorzsystem, ausser im Waadtland und in Neuenburg, wo es ein Proporzsystem gibt).

Die Wähler*innen stimmen über die Mitglieder der politischen Parteien ab, welche meistens denen der Nationalratswahlen gleichen. Der Ständerat basiert auch auf dem Milizsystem. Der Trend geht jedoch auch mehr zu Berufspolitikern. Jeder Kanton hat unabhängig von Religion, Einwohnerzahl oder Wirtschaft die gleiche Stimme.

Der Ständerat garantiert den Föderalismus und die Stimme der Kantone und ihrer Einwohner*innen. Dieses Institut ist in Europa keine Ausnahme. Viele Länder haben eine vom Nationalrat getrennte Kammer.

Ständerat und Nationalrat

Was die Schweizer Variante in Europa jedoch einzigartig macht, ist ihre absolute legislative und politische Äquivalenz zu dem Nationalrat. Die Gleichberechtigung bezieht sich auch auf alle Finanzfragen, die Oberaufsicht über den Bundesrat, die Bundesverwaltung und die föderalen Gerichte.

Der Ständerat hat das Initiativrecht, ist von Anfang an aktiv an jedem Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozess beteiligt und muss jedem Wort zustimmen.

Der Ständerat ist in der Tat das föderale Pendant zum repräsentativen Nationalrat. Ob der Ständerat die Erwartungen der Stifter im politischen Leben erfüllt, ist eine Frage, die in folgenden Artikeln diskutiert werden soll.

Der Ständerat tagt getrennt vom Nationalrat (ausser bei der Wahl der Regierung, der Bundesrichter/- Beambte und in Kriegszeiten des obersten Befehlshabers (General) der Streitkräfte.

Beide Gremien treffen sich vierteljährlich im Bundeshaus in Bern. Bundesgesetze können verfassungsrechtlich nicht durch den (höchsten) Richter überprüft werden. Beide Gremien treffen sich vierteljährlich im Bundeshaus in Bern.

Die parlamentarischen Instrumente des Ständerats werden im Artikel über den Nationalrat besprochen, weil sie exakt identisch sind.

Der Ständerat kann der Initiator einer Gesetzgebung sein oder sich als erster mit einem Vorschlag oder Beschluss der Regierung befassen. Er fungiert somit als Erstrat oder aber Zweitrat, wenn der Nationalrat in dieser Hinsicht der Erste ist.

Die Präsidenten von Ständerat und Nationalrat stellen die Ordnung auf. Der Ständerat hat in den letzten Jahrzehnten einen kleinen Vorsprung gegenüber dem Nationalrat erhalten und ist in 55% der Fälle als Erstrat tätig.

Beide Kammern müssen sich über jeden Buchstaben und jedes Komma völlig einig sein. Im Falle einer Uneinigkeit gibt es zunächst ein Differenzbereinigungsverfahren, ein Verfahren zur Erzielung einer Einigung mit maximal drei aufeinander folgenden Bemühungen.

In der Regel gelingt es ihnen, die Differenzen zu überbrücken. Ist dies nicht der Fall, ist eine Einigungskonferenz das letzte Mittel zur Einigung. Dreizehn Mitglieder jedes Gremiums diskutieren, schliessen einen Kompromiss und kommen fast immer zu einer Einigung.

Es ist das Ende der Gesetzgebung, wenn sie scheitert, was selten geschieht. Diese langwierigen Konsultationen sind notwendig, weil die direkte Demokratie/das Volk immer immer da ist.

In beiden Gremien gibt es neun Kommissionen, die mit dem Bundesrat, Experten, Departemente und (Interessen-)Organisationen zusammenarbeiten, sowie zwei Kommissionen der (Finanz-)Aufsicht.

Beide Organe wählen einen Präsidenten und einen Vizepräsidenten für eine Amtszeit von maximal einem Jahr.

Verhältnis zu den Kantonen

Das politische Verhältnis zu den Kantonen, den Kantonsregierungen und den Kantonsparlamenten wird in weiteren Artikeln thematisiert. Die Mitglieder des Ständerates stimmen ohne Instruktion der Kantone (Instruktionsverbot), sondern als unabhängige Mitglieder eines Bundesorgans.

Ein Problem innerhalb des Ständerats war jedoch lange die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Kantonen, die so unterschiedlich und in vielerlei Hinsicht unabhängig sind. Es wurde beklagt, dass die Ständeratsmitglieder eher unabhängige Bundespolitiker als Vertreter der Kantone seien.

Als Folge davon hätten die Kantone oft zu wenig, zu spät und zu begrenzten Einfluss auf den nationalen Gesetzgebungsprozess. Um diese Lücke zu schliessen, wurde 1993 das Haus der Kantone ( Maison des Cantons, Casa dei Cantoni oder Chasa dals Chantus)  gegründet – mit Erfolg. Der KdK erwies sich als ausgezeichnetes Mittel zur Behebung dieses Mangels.

Stellung

Der Ständerat nimmt im Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozess sowie bei der Kontrolle der Regierung und ihrer (sieben) Departemente eine wichtige politische Stellung ein.

Der Ständerat spielt heute eine gleichwertige oder sogar stärkere politische Rolle als der Nationalrat. Seine politische Bedeutung und sein Ansehen zeigen sich auch an der Zahl der ehemaligen Nationalratsmitglieder, die einen Sitz im Ständerat haben. Das Gegenteil ist kaum mehr der Fall.

Wie jedes demokratische System weist  auch dieses System Mängel und Lücken auf. Unbestritten ist jedoch, dass dieses Bundesorgan eine unverzichtbare Rolle im parlamentarischen System und im Zusammenhalt der multikulturellen Gesellschaft spielt.

Es zeigt einmal mehr den Wert des Funktionierens der (direkten) Demokratie in der Schweiz.