Val Poschiavo. Foto/Photo: TES

Die vierte Minderheit und Ticinocentrismo

Die Schweiz ist bekannt als ein viersprachiges Land (Italienisch, Deutsch, Französisch und Romanisch). Die überwiegende Mehrheit ist deutschsprachig. Es gibt drei Minderheiten: Französisch, Italienisch und Romanisch sprechende Bürger.

Es gibt jedoch noch eine weitere Minderheit, die vierte Minderheit. Dies sind die Italienisch sprechenden Personen im Kanton Graubünden, der offiziell dreisprachig ist (Romanisch, Deutsch und Italienisch).

Auch hier sind die deutschsprachigen Einwohner in der Mehrheit (110 000). Heute hat die Romanische Sprache rund 60 000 aktive Sprecher (von 190 000 Einwohnern des Kantons) in einem Gebiet im mittleren, südlichen und südöstlichen Teil des Kantons.

Die italienische Minderheit von 20 000 Menschen ist auf vier Täler verteilt (Val Poschiavo/Puschlav, Val Bregaglia/Bergell, Val Mesolcina/Misox und Val Calanca).

Die Italienisch sprechenden Menschen in diesen Tälern verstehen sich oft als eine italienische Minderheit der italienischen Minderheit im Tessin. In der kantonalen Verwaltung dominiert die deutsche Sprache und die Romanischen und italienischen Sprachen haben im deutschsprachigen Raum keinen höhen Stellenwert.

Die italienische Interessengemeinschaft in Graubünden (Pro Grigioni Italiano) stellt fest, dass die Italienischsprachigen in Grisons im Vergleich mit Tessin auch auf Bundesebene benachteiligt sind, auch wenn sie die anderen Sprachen sprechen.

Zudem gibt es keine Solidarität zwischen den Italienisch sprechenden Menschen im Tessin (352 000 Einwohner) und Graubünden, einem Ticinocentrismo.

Darüber hinaus ist auch die Solidarität zwischen den französisch- und italienischsprachigen Ländern, la solidarité latine, begrenzt.

Diese Debatte ist aktuell in einer Zeit, in der sich der Bundesgericht mit der Frage von nur einer Fremdsprache in der Grundschule beschäftigt (zusätzlich zu Deutsch, Romanisch oder Italienisch, je nach Gemeinde, in der die Sprache gesprochen wird).

Die meisten deutschsprachigen Schulen entscheiden sich für Englisch, aber die meisten italienischsprachigen Schulen für Deutsch und nicht für Englisch.

Die Sprache ist also ein kulturelles Problem. Ein kleines Land wie die Schweiz zeigt auch aus dieser Perspektive die Grenzen der europäischen Integration.