Bern, Bundeshaus. Photo/Foto: TES.

Das politische System

Am 22. Oktober  fanden in der Schweiz die Wahlen zum nationalen Parlament statt. Dieser Beitrag befasst sich nicht mit dem Ausgang dieser Wahlen. Er konzentriert sich auf die Funktionsweise des Systems und verweist, wo immer möglich, auf Beiträge zu spezifischen Themen.

Das politische System der Schweiz gilt bis heute als Sonderfall unter den modernen Demokratien. Die Ursprünge dafür liegen in einer ausgesprochenen Pluralität unterschiedlicher Sprachen, Konfessionen und Gesellschaftsstrukturen sowie einer kontinuierlichen historischen Entwicklung.

Diese Rahmenbedingungen haben zur Herausbildung eines einzigartigen politischen Systems geführt, das sich durch eine aussergewöhnliche Kombination von ausgebautem Föderalismus, starker direkter Demokratie, ausgeprägter Konkordanz, mündigen Bürgern und öffentlichen und politischen Diskussionen auszeichnet.

In keinem anderen Land der Welt haben Bürger und Bürgerinnen in den Gemeinden und Kantonen einen so grossen und direkten Einfluss auf die politische Entscheidungsebene des Bundes.

Das System

In der Schweiz gibt es weder ein präsidentielles System wie in Amerika oder Frankreich, noch ein einfaches parlamentarisches representatives System wie in den Niederlanden.

Das föderale politische System ist im Wesentlichen wie folgt strukturiert: Die 200 Mitglieder des Nationalrats  werden von Schweizerinnen und Schweizern ab 18 Jahren gewählt auf Basis der Proportionalität der abgegebenen Stimmen (Proporzsystem),

Die 46 Mitglieder des Ständerats vertreten die 26 (Halb-)Kantone und werden von den gleichen Bürgerinnen und Bürgern pro Kanton gewählt auf Basis des absoluten Mehrs pro Kandidat (Majorzsystem), es kann immer nur eine(r) gewinnnen. Nationalrat und Ständerat bilden zusammen die Bundesversammlung und haben die gleichen Rechte.

Die Bundesversammlung wählt für einen Zeitraum von 4 Jahren die Regierung, den Bundesrat, aus einer Reihe von Parteien im Parlament, in denen Engagement, Erfahrung, Sprache, Kanton, politische Präferenz und heute auch das Geschlecht eine Rolle spielen.

Seit 1848 besteht die Regierung aus 7 Personen, die sieben Departementen vorstehen. Der/die jährlich wechselnde Bundespräsident/in, ein vom Parlament gewähltes Bundesratsmitglied, nimmt dabei die Rolle des Primus/der Prima inter Pares ein und leitet gleichzeitig auch sein/ihr Departement.

Das Besondere an diesem System ist, dass die Regierung auf der Grundlage einer möglichst breiten Zustimmung des Parlaments gewählt und für vier Jahre ernannt wird. Die Regierung agiert immer als politische Einheit, auch wenn ein Mitglied anderer Meinung ist (Konkordanzprinzip).

Es wird so viel geredet, diskutiert und konsultiert, bis eine Einigung über die Position erreicht ist, die dem Parlament vorgelegt wird. Das Parlament hat immer das (vor-)letzte Wort. Das Volk hat oft wirklich das letzte oder eben das erste Sagen (im Falle einer Volksinitiative).

Die 26 Kantone haben im Ständerat das gleiche Stimmrecht. Im Ständerat und im Nationalrat gilt die absolute Mehrheit. Beide Kammern müssen einem Gesetz oder Enstscheid des Bundesrats zustimmen.

Die Demokratie

Als eine der ersten republikanischen (männlich dominierten) Demokratien in Europa und als erster moderner Bundesstaat hat das Land schon im 19. Jahrhundert eine Vorreiterrolle eingenommen.

Dazu muss allerdings gesagt sein, dass die nationale politische Frauenbeteiligung erst ziemlich spät eingeführt wurde (1971), aber schon vorher auf kantonaler und kommunaler Ebene existierte.

Die Schweiz verfügt über ein aussergewöhnliches direktdemokratisches System, das weder rein parlamentarisch noch rein präsidentiell geprägt ist. Die vom Parlament auf eine festgelegte Periode gewählte Regierung (die Kollegial-Exekutive) von sieben gleichberechtigten Mitgliedern  sowie das Prinzip der proportionalen Machtteilung des Nationalrats und das föderale Prinzip des Ständerats, haben die Herausbildung eines funktionierenden multikulturellen Gesellschaftssystems möglich gemacht.

Zudem gibt es die unmittelbaren Mitspracherechte der Bürger und Bürgerinnen, die sogenannte direkte Demokratie. Die zahlreichen, vierteljährlich stattfindenden Volksabstimmungen  legitimieren und kontrollieren das System auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene.

Schlussfolgerung

Die Bedeutung des Nationalstaates hat im Zuge der Globalisierung und Europäisierung mit der Verlagerung der Kompetenzen abgenommen. Dies führt auch zu geringeren Einflussmöglichkeiten der Bürger und Bürgerinnen und der unteren Staatsebenen.

Die Legitimation sinkt, der Anteil der Protestwähler steigt. Die direkte Demokratie bringt vielleicht nicht immer das richtige oder gewünschte Resultat für das Establishment, aber das System versagt nie, weil das Volk das (letzte oder erste) Sagen hat.

Es gibt integre Medien, demokratische Ansprüche werden durch das Establishment akzeptiert und es gibt kaum Korruption. Zudem ist die Wirtschaft innovativ, wettbewerbsfähig und international geprägt. Das System ist nicht perfekt, aber das Land respektiert auf jeden fall seine Bürger und Bürgerinnen und den Rechtsstaat.

Die Schweizer und Schweizerinnen sind vielleicht nicht “le peuple le plus heureux du monde” (Jean-Jacques Rousseau, 1762, oder die Vereinten Nationen, 2015), aber das System und die Institutionen haben sich bewährt.

(Quelle: A. Vatter, Das politische System der Schweiz, Baden-Baden, 2016)

Korrektorin: Eva Maria Fahrni