Die Bundesverfassung, Plakat 1848. Nationalmuseum Zürich. Photo/Foto: TES.

Die Verfassung, die Kantone und das Volk

Es gibt zwei Gründer der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Confoederatio Helvetica): das Volk und die Kantone, gemäss der Präambel und Artikel 1 der Bundesverfassung (Constituziun federala, Constitution fédérale, Costituzione federale).

Die Gründer

Das Schweizer Volk und die Kantone (Il peuple svizzero et les cantons suisses, Il Popolo svizzero et l’Cantoni, Präambel, Präambel, Präambolo) bilden die Schweizerische Eidgenossenschaft (furman la Confederaziun svizra, in erster Linie die Confédération suisse, costituiscono la Confederazione Svizzera, Art. 1 FZ).

Das Volk

Das Volk ist somit der Gründer der Verfassung, des Landes und des Bundes. Es hat immer das letzte Wort bei Ergänzungen oder Änderungen der Bundesverfassung durch die Volksinitiative (initiative populaire, initiativa popolare, iniziativa dal pievel) und das obligatorische Referendum (référendum obligatoire, referendum obbligatorio, Referendum obligatoric, Art. 138-140 und 193 BV).

Das Volk ist somit die oberste souveräne Macht und ein gesetzgebendes Organ. Art. 51 BV widerspiegelt auch die oberste souveräne Gewalt des Volkes.

Das Volk und die Kantone

Jeder Kanton hat eine demokratische Verfassung, die nur mit Zustimmung des Volkes in Kraft tritt. Die Verfassung kann jederzeit durch einen Mehrheitsbeschluss des Volkes geändert werden.

Die Verfassung eines Kantons muss sich an die Grundsätze der Bundesverfassung und der Menschenrechtsverträge halten.

So hat zum Beispiel das Bundesgericht in Lausanne (29. Juli 2019) entschieden, dass das Wahlsystem für die Regierung (der Grosse Rat) des Kantons Graubünden nicht den demokratischen Bedingungen der Bundesverfassung entspricht. Ein neues Wahlsystem ist derzeit in Vorbereitung.

Das Bürgerrecht

Doch wer oder was ist mit „das Volk“ gemeint? Es sind die Einwohnerinnen und Einwohner, die das Bürgerrecht und das aktive und passive Wahlrecht in den Gemeinden, Kantonen und beim Bund haben (Art. 37 Abs. 1 BV). Dies ist eine untrennbare Dreifaltigkeit.

Die Verfassungen der Kantone haben die Gewährung des Bürgerrechts auf Grund der (Mindest-)Bedingungen des Bundes an die Gemeinden delegiert (Art. 38, 1-3 BV).

Das Verfahren und die Begründung müssen den Grundsätzen der Bundes- und Kantonsverfassungen folgen (d.h. nicht auf Verfahrensmängel, Willkür, Diskriminierung usw. beruhen).

Art. 39 und 136 BV gewähren das aktive und passive Wahlrecht auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene sowie das Niederlassungsrecht in allen Kantonen (Art. 24 BV).

Die Aufgaben werden hauptsächlich auf kantonaler und kommunaler Ebene festgelegt, mit Ausnahme der Wehrpflicht für Männer, mit der Möglichkeit des Ersatzwehrdienstes und des ausdrücklich erwähnten freiwilligen Militärdienstes für Frauen (Art. 59 BV).

Ausländerinnen und Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz

Auf Bundesebene haben nur Schweizer Bürgerinnen und Bürger das politische Stimmrecht. Die Kantone können Ausländerinnen und Ausländern politische Rechte gewähren.

In acht Kantonen haben Ausländerinnen und Ausländer das aktive und in einigen Fällen das passive Wahlrecht. Fünf (französischsprachige) Kantone (Jura, Neuenburg, Waadtland, Genève, Freiburg) gewähren Ausländerinnen und Ausländern das aktive und passive Wahlrecht in den Gemeinden.

Vier Kantone (Jura, Neuenburg, Waadt, Freiburg) gewähren Ausländern das Wahlrecht auf Kantonaler Ebene.

Die Verfassungen von drei deutschsprachigen Kantonen (Graubünden, Appenzell Ausserrhoden und Basel-Stadt) erlauben den Gemeinden, dieses System für Ausländerinnen und Ausländer einzuführen.

Letztlich entscheiden die Gemeinden, d.h. das Volk, über die Gewährung des aktiven und/oder passiven Wahlrechts. Es kann also sein, dass diese Möglichkeit in einer Gemeinde besteht und in einer anderen Gemeinde desselben Kantons nicht.

Die wahre souveräne Macht

Die ausdrückliche Erwähnung des Volkes in der Schweizer Verfassung ist kein leeres Wort. Im Gegenteil, das Volk verfügt über umfassende und garantierte politische Rechte und nimmt sie oft auf kommunaler, kantonaler und eidgenössischer Ebene in Anspruch.

Zusammen mit den oft jahrhundertealten souveränen Kantonen hat das Volk (ohne die Frauen) mit der Verfassung von 1848 die Schweizerische Eidgenossenschaft und den Bund geschaffen. Die letzte grosse Verfassungsrevision wurde ebenfalls vom Volk (und von den Frauen) ratifiziert und trat am 1. Januar 2000 in Kraft.

Diese ausserordentliche politische Kontinuität, das gegenseitige Vertrauen und der Dialog zwischen Bund, Kantonen, Gemeinden und Volk bilden die Grundlage für den (wirtschaftlichen, monetären, sozialen und kulturellen) Erfolg der Schweiz.

Das Volk war und ist die wahre souveräne Macht des Landes, welches es 1848 gegründet hat. Die nahe Zukunft wird die Nachhaltigkeit dieses demokratischen Kronjuwels in der Mitte Europas zeigen.